Ein Gespräch mit Urs Tanner, Projektleiter Tunnelerneuerung bei der Rhätischen Bahn, über Nachhaltigkeit und Digitalisierung im Tunnelbau.
Herr Tanner, der Tunnelbau hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Welche Rolle spielt die Digitalisierung dabei?
Die Digitalisierung ist ein klarer Treiber von Innovationen im Tunnelbau und bei der Tunnelerneuerung. Hier werden neue Möglichkeiten entstehen, die auch neue Formen von Zusammenarbeit zwischen Planern, Vermessern und Unternehmen voraussetzen. Jedoch wird es nicht nur die Planung betreffen, sondern auch die Ausführung. So kann z. B. über einen 3D-Scan millimetergenau ermittelt werden, wie breit ein Tunnelprofil vor und nach der Betonnage war. Daraus ergibt sich die exakte Menge des verbauten Materials, das dann abgerechnet werden kann. Hierzu müssen aber natürlich das Vorgehen, die Leitschranken und die Abläufe vor Ausführungsbeginn bekannt sein.
Den Begriff “Building Information Modeling (BIM)” verwende ich hier absichtlich nicht, denn im Bereich “Information” sind wir noch nicht so weit. Ziel ist es aber ganz klar, eine umfassende, digitale Integration aller Prozesse zu erreichen – von der ersten Planung bis zur Instandhaltung.
Dazu müssen wir alle aber erst noch lernen, damit umzugehen. Aktuell sind Know-how und Personalressourcen nicht bei allen gleich gewichtet. Das wird sich sicher ändern: Wenn wir uns alle, in vielen kleinen Schritten, in diese Richtung bewegen, können wir Erfahrungen sammeln und voneinander lernen. Es braucht den gemeinsamen Willen und die notwendige Akzeptanz. Bei Abweichungen können schneller gemeinsame Lösungen gesucht werden, auch sind Erfahrungen für nächste Projekte einfacher übertragbar. Wichtig ist dabei, dass in der Lernphase zwischen den beteiligten Bauherren, Planern und Unternehmern offen und transparent gearbeitet wird.
Neben der Digitalisierung ist Nachhaltigkeit ein weiteres zentrales Thema im Bauwesen. Welche Massnahmen ergreifen Sie im Tunnelbau, um nachhaltiger zu werden?
Nachhaltigkeit beginnt bereits bei der Materialwahl. Wir prüfen derzeit, ob wir Beton mit einem reduzierten Zementanteil einsetzen können, um die CO₂-Emissionen zu senken. Ein vielversprechender Ansatz ist der Einsatz von Pflanzenkohle als Zuschlagstoff, der nicht nur CO₂ speichert, sondern den Beton gleichzeitig dunkler einfärbt. Das ist für uns besonders relevant, da wir in UNESCO-geschützten Bereichen arbeiten und historische – dunklere – Tunneloptiken erhalten wollen. Ein weiteres spannendes Projekt ist die Nutzung von Abfallprodukten aus Entsalzungsanlagen als Betonzusatzstoff, um den Ressourcenverbrauch weiter zu minimieren.
Und auch heute schon gelingt es uns, Tunnelerneuerung, Nachhaltigkeit und Naturschutz zu vereinen. Ich denke da an die Erneuerung der zwei Brailtunnel im Engadin: Im Zuge der Plangenehmigung des Brailtunnels I befürchtete das Bundesamt für Umwelt, dass die Bautätigkeit das Brutverhalten der heimischen Uhus in der näheren Umgebung zur Baustelle empfindlich stören könne. Glücklicherweise waren wir zeitgleich bereits in der Ausführung des Brailtunnel II. Diesen Umstand haben wir gemeinsam mit der Umweltbaubegleitung (UBB) und einem Fachmann der Vogelwarte Sempach genutzt, um den Einfluss auf Lärm und Erschütterung in der näheren Umgebung zu prüfen. Verschieden Messgeräte kamen über einen längeren Zeitraum zum Einsatz. Und Anfang des Sommers 2024 meldete uns die UBB tatsächlich, dass sich nach mehrjähriger Absenz ausgerechnet in diesem Jahr wieder ein Eulenpaar eingefunden und in unmittelbarer Nähe zu unserem Projekt mit der Brut gestartet habe. Das Paar hat bis zum Sommer zwei Jungvögel erfolgreich grossgezogen, und alle haben das Nest gesund und munter verlassen – trotz Sprengungen und Erschütterungen.

Gibt es nachhaltige Entwicklungen im Bauprozess selbst?
Ja, wir haben mit unserer “Normalbauweise Tunnel” und dem Einsatz seriell vorgefertigter Elemente gewissermassen den Systembau für die Tunnelerneuerung adaptiert, inklusive aller darin enthaltenen Vorteile für Ressourceneffizienz und Emissionsreduktion. Wir reduzieren den Materialverbrauch, minimieren den Bauabfall und beschleunigen die Bauzeit erheblich. Dadurch verringern wir nicht nur den Energieeinsatz, sondern auch die Beeinträchtigung des Bahnbetriebs. Zudem testen wir moderne Baumaschinen, die mit Partikelfiltern ausgestattet sind oder elektrisch betrieben werden, um Emissionen auf der Baustelle zu reduzieren.
Ist dieses serielle Sanieren der RhB-Tunnel auch für andere Bahngesellschaften interessant?
Ja, das Konzept ist grundsätzlich übertragbar. In Deutschland gibt es bereits ein Pilotprojekt, das auf unseren Erfahrungen basiert. Allerdings gibt es dort regulatorische Hürden, insbesondere bei der Zulassung von Bauteilen. Das zeigt, dass innovative Ansätze nicht nur technische, sondern auch administrative Herausforderungen mit sich bringen. Wir begrüssen es sehr, wenn andere Bahngesellschaften unser Konzept aufgreifen und weiterentwickeln, denn ein gemeinsamer Erfahrungsaustausch wäre für die gesamte Branche von Vorteil.
Abschliessend: Welche Entwicklungen sehen Sie für die Zukunft des Tunnelbaus?
Die Kombination aus Digitalisierung und Nachhaltigkeit wird den Tunnelbau grundlegend verändern. Automatisierte Prozesse, neue Materialien und eine engere Zusammenarbeit zwischen Bauherren, Planern und Unternehmen werden entscheidend sein. Allianzmodelle, bei denen alle Beteiligten gemeinsam an einem Tisch sitzen und gemeinsam Verantwortung tragen, werden allenfalls an Bedeutung gewinnen. Die technologische Entwicklung wird uns weiterhin vor grosse Herausforderungen stellen, aber auch grosse Chancen bieten. Ich bin gespannt, wohin die Reise geht!
Über den Gesprächspartner
Urs Tanner ist seit 2012 als “Projektleiter Tunnel” bei der Rätischen Bahn für die Einführung und die Weiterentwicklung der “Normalbauweise Tunnel” und deren Umsetzung bei Projekten der RhB verantwortlich. Schon zuvor sammelte der gelernte Tiefbauzeichner und Bauleiter Tiefbau bei einem Vermessungsbüro sowie einem Bauchemielieferanten und einem Kunststoffrohrhersteller Tunnelerfahrung. So konnte der gebürtige Bündner unter anderem beim Umfahrungstunnel Promontogno und dem NEAT-Projekt «Zwischenangriff Sedrun» mitwirken und später Tunnelprojekte in Graubünden und im Wallis begleiten.
Factbox: Die “Normalbauweise Tunnel”
Die meisten Tunnel der RhB wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet. Damit diese Tunnel weiterhin den Anforderungen des modernen Eisenbahnbetriebs gerecht werden, muss die RhB in den kommenden Jahrzehnten rund die Hälfte der insgesamt 115 Tunnel erneuern. Das Unternehmen entwickelte dafür ein neues, standardisiertes Instandsetzungsverfahren: die «Normalbauweise Tunnel». Diese garantiert geregelte Bauabläufe, niedrigere Kosten als bei bisherigen Verfahren und ermöglicht die Erneuerung bei laufendem Betrieb. Zudem erhöht sie die Lebensdauer der Tunnel von heute durchschnittlich 30 bis 50 Jahre auf 70 bis 100 Jahre.
Bei dem neuen Bauverfahren werden die Wände der Tunnel komplett ersetzt und nicht mehr wie bisher «nur» wiederhergestellt. Dazu werden das Gleis abgesenkt, der Tunnelquerschnitt vergrössert, eine neue Entwässerung erstellt, Betonfertigelemente als Innenschale (Wände) eingesetzt und die Portale neu erstellt.
Zum ersten Mal zum Einsatz kam die «Normalbauweise Tunnel» 2014, bei der Erneuerung des rund 108 Jahre alten und 334 Meter langen Glatscherastunnel unterhalb von Bergün. Mit an Bord war damals die Rhomberg Sersa Rail Group! Das Gleis wurde um 52 cm abgesenkt. Anschliessend erfolgten die Vergrösserung des Tunnelquerschnitts mittels Sprengvortrieb und der Einbau der Betonfertigelemente ab Güterwagen. Die RhB nahm mit diesem Projekt eine Vorreiterrolle ein und hat das Interesse anderer Bahnunternehmen geweckt.
Beim Bergünersteintunnel wurde 2019 erstmals bei einem Projekt Feste Fahrbahn verbaut – ebenfalls gemeinsam mit der RSRG!
Über die Rhätische Bahn
“Mit rund 1 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bieten wir jährlich 15,5 Millionen Fahrgästen eine erlebnisreiche Fahrt durch Graubünden.
Unser 385 Kilometer langes Streckennetz fasziniert mit eindrücklichen Zahlen: Ein Drittel befindet sich auf über 1 500 Meter über Meer. Ein Drittel zählt zum UNESCO Welterbe RhB. Und ein Fünftel befindet sich auf oder in Kunstbauten.
Mit unseren Regional- und Güterzügen sowie dem Autoverlad am Vereina sorgen wir für zuverlässige Transportketten im Kanton Graubünden. Mit den Panoramazügen Bernina Express und Glacier Express sowie dem UNESCO Welterbe «Rhätische Bahn in der Landschaft Albula/Bernina» verfügen wir über Marken von weltweiter Bekanntheit. Marken, die wir zusammen mit unseren touristischen Partnern pflegen und positionieren.
Wir betreiben eine kundenfreundliche Bahn und sind tagtäglich sicher, sauber und pünktlich unterwegs. Wir bewegen Graubünden und faszinieren Kunden aus aller Welt. Mit einer effizienten Abwicklung des Verkehrs, neuen und modernen Fahrzeugen, dem Ausbau unseres Angebots und faszinierenden Produkten wollen wir das Erlebnis